Die Klaviatur des Risikos. Zur Arbeit der Schauspielerin Isabelle Huppert.
Stefan Grissemann über die Arbeit der Schauspielerin Isabelle Huppert. Text für die Filmschau ISABELLE MON AMOUR vom 25. Mai – 12. Juni im Stadtkino im Künstlerhaus.
Wer Isabelle Huppert eine der zentralen Charakterdarstellerinnen unserer Zeit nennt, verfehlt den Wesenskern ihrer Kunst. Die Französin ist im globalen Autorenfilm mit ihrer Furchtlosigkeit, ihrem – fast schon radikalen – Kosmopolitismus und ihrem schauspielerischen Eigensinn derart allein, dass jeder Vergleich mit Kolleginnen und Kollegen absurd anmutet. Isabelle Huppert spielt in ihrer eigenen Liga – und nur dort. Dass sie dennoch eine perfekte Team-Playerin ist, gehört zu den Wundern einer inzwischen viereinhalb Jahrzehnte währenden Karriere, die auch deshalb so schwer zu erklären ist, weil sie auf einer Reihe produktiver Paradoxien basiert: Isabelle Huppert erscheint im Kino auf seltsam stille Weise auffällig, in aller Zurückgezogenheit angriffslustig, unaufgelöst zwischen kühlem Intellekt und einer emotionalen Komplexität, die umso gewaltiger wirkt, je kontrollierter sie in Szene gesetzt wird. Und auch die Reibungsenergie, die sich aus der wilden Mischung von Narzissmus und Schonungslosigkeit gegen sich selbst ergibt, gehört ins System dieser Künstlerin. Es gibt nicht viel, das sich in Hupperts beherrschtes Gesicht nicht projizieren ließe, in ihm ist, je nach Verabredung, alles Mögliche zu lesen. Nichts Menschliches ist dieser Schauspielerin fremd.
All das macht sie zur idealen Komplizin kreativer Köpfe wie Werner Schroeter, Claude Chabrol, Ursula Meier, Marco Bellocchio und Catherine Breillat, die in ihren abgründigen Erzählungen das Ungesicherte, noch nicht vollständig Begriffene suchen. Der Regisseur Michael Haneke, der wie Isabelle Huppert gern über Darstellungskonventionen und Tabugrenzen geht, ist somit nicht ohne Grund einer ihrer liebsten Partner; es ist tatsächlich kaum möglich, sich eine passendere Verkörperung der hochneurotischen Jelinek’schen „Klavierspielerin“ vorzustellen als sie. In all den Frauen, die sie darstelle, sagt Huppert, stecke „eine Menge von mir selbst“. Und die Gefahr, die sie brauche (und kontrollieren können müsse), sei für sie „eher ein Instrument als ein Hindernis“. Die Klaviatur des Risikos spielt tatsächlich niemand besser als sie.
Stefan Grissemann