Endlicher schreibt „Litaneien”. So nennt er seine repetitiven, teils autobiografischen, teils sozialkritischen Textstücke in Ich-Form, die er als Grundlage seiner Sprach-Performances und Videos verwendet. In diesen performativen Sprechakten lotet er existentielle Fragen aus und stellt den oft oberflächlichen Gebrauch von Sprache in unserer Gesellschaft bloß. Die Auswahl für das Kino zeigt Arbeiten der letzten 10 Jahre, von tonlosen Körpertransformationen, überbordenden Wortkaskaden, die nicht mehr zu verstehen sind, bis zu politischen Kommentaren zur Gegenwart.
"Es ist ein fragiles Künstlerbild, das sich in vielen von Michael Endlichers Arbeiten zeigt. Was auf den ersten Blick oft provokant wirkt, lässt im körperlichen Ausdruck, dem „grain of the voice“ (Barthes), die Zerbrechlichkeit und Ratlosigkeit angesichts der Frage, was Künstler*in-Sein bedeuten und bewirken kann, durchscheinen." (Claudia Slanar)
Filmprogram
Herr Meneutik #2 Michael Endlicher | 4:58 | AT 2011
Der sonst klare Abstand zwischen der Kunst einerseits und der Rede über sie andererseits, löst sich auf, Kunstwerk und Redekunst fallen in eins, der diskursive Akt wird zum Kunstwerk (Hartwig Bischof).
I am Gerhard Richter Michael Endlicher | 4:40 | AT 2012
Michael Endlicher’s memorable piece strikes me as both homage to the artist’s inescapable influences — and an exorcism of them. That is, a desire to acknowledge (consume) the weight of history and, at the same time, be rid of it (eliminate). I consider Endlicher’s title in this light, and think of the Dresden-based work of Gerhard Richter’s called Atlas: A world on the shoulders of the artist. In this sense, there is an egoism about the piece that is striking, and yet at the same time, a powerful ritualized acceptance. Moreover, given the theatrical lighting, one is tempted to recall a Greek bust, and its references to the Oedipal imperative to (at least metaphorically) ‘kill’ the father. (Victoria Hindley)
LEIBHAFTIG PLURIFAKT Michael Endlicher | 2:28 | AT 2014
Endlichers Fragen nach Identität und Körperintegrität als Künstler zentrieren sich in Form dieser Videoarbeit. Wenn man diese genau betrachtet, lässt das Weiß des Leintuchs, der nackte menschliche Körper, die Bewegung und die Symmetrie des Settings klinische Assoziationen anmuten, wie sie im Bereich der Medizin etwa in der Computertomografie beim Scan des menschlichen Körpers zu finden sind. Sensibel gelöst ist hier das, was sich im Hintergrund am Bildschirm vollzieht. Es ist ein besonders spannendes Spiel mit dem was im Kinoapparat als Blickregime bezeichnet wird. Eine Form der voyeuristischen Attraktion die in dieser Art und Weise nur in einem zeitgebundenen Medium möglich ist. Langsam schiebt sich von beiden Seiten das Motiv, der nackte menschliche Körper ins Bild und wird im Zentrum vom Bildschirm förmlich verschluckt. Nur langsam rückt die verdeckte Scham ins Bildgeschehen und scheint sich am Ende des Loops dennoch zu entblößen, wenn die letzten Haarbüschel des Kopfes am Ende des Loops verschwinden. Was sich hier sensibel und hintergründig rein im Kopf des Betrachters als Frage nach dem biologischen Geschlecht, einer biologischen Identität auftut, wird durch den Text im Vordergrund hart überlagert: der Frage nach der sozialen, beruflichen Identifizierung. (Christoph Urwalek)
What What What Michael Endlicher | 1:07 | AT 2011/2017
Discussion
Michael Endlicher | 3:25 | AT 2004/2016 | dt. Fassung
In diesem Video übt sich der Künstler abermals im Wiedergeben von „ausgewählten Spitzenaussagen über die Befindlichkeit der zeitgenössischen Kunst“ (Hartwig Bischof) und ihrer Rezeption. Im Büßergewand des Erkrankten lässt er diesmal dem Betrachter jedoch so gut wie keine Chance mehr, den einzelnen Gedanken zu folgen: gleichzeitig dozieren zwölf Endlichers im Splitscreen ihre Weisheiten. Diese stammen, wie gewohnt, aus den Federn anonym bleibender Über-Kunstschreibern. Maximale Erklärungskompetenz schaukelt sich auf zur unverständlichen Kakophonie, doch nach zweimaligem Durchlauf bleibt am Ende doch noch eine letzte Aussageschleife vernehmbar stehen. Sie führt zurück an den Anfang aller Kunst: auf das brüchige Künstlerselbst zwischen Kunst und Leben.
Jetzt hätte ich noch eine letzte Frage Michael Endlicher | 3:21 | AT 2020
Aber Aber Aber Michael Endlicher | 7:04 | AT 2021 | dt. Fassung m. engl. UntertitelnDas Video basiert auf meiner Litanei #12
Endlichers neues Video Aber Aber Aber ist wie immer inhaltlich perfekt recherchiert, gesammelt und arrangiert. Es fühlt sich an wie eine Metaebene zur Medienkritik. Einerseits steht ihm das Wasser bis zum Kinn, andererseits gibt er uns eine Litanei, die wir gar nicht hören wollen, weil wir uns längst daran gewöhnt haben. Tatsächlich sind diese Abers total geläufig – durch die Litanei wird offensichtlich, wie überzeugend sie sind, durch die Wiederholung, aber auch durch den Umstand, dass man sich beim Betrachten und Hören des Videos an die Kontexte erinnert, in denen man die Sätze wieder und wieder gehört hat. Endlicher macht das Virtuelle an diesem „Wissen“ erkennbar. Es ist ja auch das Magische an Litaneien, dass sie sowohl affirmativ als auch aversiv gehört werden können. Jedenfalls zeigen sie auf, wie assoziativ wir funktionieren. (Wolfgang Giegler)
I have to believe Michael Endlicher | 2:41 | AT 2020 | dt. Fassung m. engl. Untertiteln
Das Video basiert auf meiner – erweiterten – Litanei #4.
Ich bin total gesund Michael Endlicher | 2:52 | AT 2013 | dt. Fassung
Das Video – basierend auf Endlichers Litanei #8 – setzt die Litanei-Serie fort und persifliert den Wellness- und Gesundheitsboom. Während der Anrufungen und Wiederholungen gleitet die Kamera langsam über die Teile des nackten Körpers wie die Finger über die Perlen eines Rosenkranzes. Zelebriert wird ein dramaturgischer Kunstgriff der Verzögerung und der Spannung von Zeigen und Verbergen. (Eva Maltrovsky)
Ich möchte Folgendes klarstellen Michael Endlicher | 12:00 | AT 2019 | dt. Fassung
Endlichers unendliches Distanzierungs- und Entschuldigungsvideo Ich möchte Folgendes klarstellen, das wenige Monate vor (!) der Pandemie fertig geworden ist, handelt von einer Angepasstheit, die im Sinne der political correctness der Maskierung ganzer Gesellschaften das Wort redet. Sonor vorgetragene Distanzierungen suchen in den vergangenen Jahren immer häufiger die öffentlichen Reden heim. Ihre Inhalte laufen dabei Gefahr, als leere rhetorische Gesten einer Versicherung zu gelten, die nichts mit der eigentlichen, eigenen Haltung zu tun zu haben, sondern zu einem allgemeinen Verhaltenskonsens zu werden. Seine Arbeit behandelt pointiert und durchaus bissig von einer angepassten Entschuldigungs- und Distanzierungskultur, die man in öffentlichen Diskursen pflegt oder zu pflegen hat, aber gerade in der mehrfachen Repetition ihre inhaltlose Farce und oberflächliche rhetorische Geste offenbart: Eine unendliche Liste führt Endlicher als unermüdlicher Entschuldigender an. Seine Stimme ist eine weibliche Synchronstimme. Er entschuldigt sich in aller nur erdenklichen political correctness bei allen möglichen gesellschaftlichen (Rand-)Gruppen, die, in der Menge angeführt, längst zur breiten Masse verschmelzen. Es scheint gleichsam niemanden zu geben, der keine Entschuldigung oder Distanzierung verdient hätte. Das überraschende Ende des im Nachrichtensprecherdesign inszenierten Videos, welches im Hintergrund das Zeichen einer ansteigenden oder abfallenden Diagonale – je nachdem ob Entschuldigung oder Distanzierung – zeigt, lässt die permanent gehaltene Spannung in den persönlichen Atemstillstand kippen: Am Ende distanziert er sich auch von Dir! (Katrin Bucher Trantow & Johannes Rauchenberger)
Freier Eintritt, Zählkarten an der Abendkassa