John CassavetesUSA 1974 / 146 min
Zwischenmenschliche Beziehungen sind bei Cassavetes niemals selbstverständlich. Sonderfälle sind die Regel, Gemeinsamkeit muß sich ständig neu definieren, und einfach ist dabei nichts. A Woman Under the Influence ist nicht nur die Geschichte der manisch-depressiven, hypersensiblen und hysterischen Mabel Longhetti (Rowlands). Es geht auch um Liebe: die Liebe zwischen Mabel und ihrem Ehemann Nick (Falk) und die Liebe als Zustand per se, der der Hysterie in seiner Unbedingtheit und Irrationalität verwandt ist. Es ist kein Zufall, daß Cassavetes den Film mit einer Opernarie (Puccinis „La Boheme“) einleitet: A Woman Under the Influence ist ein Experiment. Was passiert einem Menschen, der seinen Gefühlen, Passionen, Affekten operngleich ausgeliefert ist? Was, wenn es (wie im Stadium des Verliebtseins) keine rationalen Schranken gibt, wenn jede Enttäuschung zur Verzweiflung, jeder Glücksmoment zum überwältigenden Freudentaumel wird? Mabel/Gena ist oft derart von der Intensität des eigenen Erlebens überfordert, daß ihre Bewegungen ruckhaft werden; der Körper ist buchstäblich hin- und hergerissen zwischen all den Möglichkeiten, seinem Inneren Ausdruck zu verleihen. Manchmal wirkt Mabel, als stünde sie „unter dem Einfluß“ von Drogen, hemmungslos und überschwenglich. Nur einmal betrinkt sie sich wirklich und betrügt ihren Mann: das einzige Mal, daß ihr Körper ihre wahren Empfindungen aus einer Laune verraten hat. „Mabel is not crazy. She‘s unusual.“, verteidigt Nick seine Frau gegenüber den Kollegen vom Bautrupp. Er hat längst erkannt, daß jenes „zu viel“ Mabels Persönlichkeit ist. Während Hollywoods Mainstream seine Emotionen über plot points kalkuliert, wird hier die Aktion entlang des Ausdrucks entwickelt: So stehen auch Cassavetes‘ Filme in ihrem Wesen der Hysterie nahe. [Maya McKechneay]