Die temperamentvolle und unabhängige Julia (Julie Ledru) ist ein Technikfreak, der in feindlichen Umgebungen aufblüht und jede Situation zu seinem Vorteil nutzt. Sie hat ein Talent dafür, herablassende Männer zu betrügen, die es niedlich finden, dass sie sich für ihre gebrauchten Motorräder interessiert – und die es nicht fassen können, dass sie mit fröhlicher Hingabe davon fährt. Ihre Besessenheit von der rasanten Welt der urbanen “Rodeos” – illegale Zusammenkünfte, bei denen Motorradfahrer ihre Motorräder und ihre neuesten waghalsigen Stunts vorführen – führt zu einem zufälligen Treffen mit einer unberechenbaren Clique. Julia versucht, sich bei der ultra-maskulinen Gang zu beweisen, indem sie für ihren inhaftierten Anführer Dom Betrügereien durchführt und Botengänge erledigt. Sie findet eine überraschende Verbindung zu Doms Frau Ophélie (Antonia Buresi) und seinem Sohn – ein riskanter Schritt, der sie ins Visier nimmt. Julia ist sich nicht sicher, wem sie vertrauen kann, als der ultimative Raubüberfall ansteht.
„Eine junge Frau manövriert sich durch die Welt der illegalen Stunt-Motorradfahrten. Ein Debütfilm mit herausragendem Rhythmusgefühl und einer schwer lesbaren, aber faszinierenden Hauptfigur.“ (Kinozeit)
Passages
Dem deutschen Filmemacher Tomas ist am letzten Tag seines Drehs in Paris die Anspannung anzumerken. Mit pedantischer Härte erklärt er seinen Kompars*innen, wie sie ihre Hände zu halten oder mit welcher Motivation sie eine Treppe herunterzugehen haben, bis endlich die Schlussklappe fällt. Auf der Abschlussparty fällt Tomas erst in die Arme seines britischen Ehemannes Martin, dann lernt er die junge Grundschullehrerin Agathe kennen. Aus einem Tanz entwickelt sich ein Flirt, aus dem eine leidenschaftliche Nacht wird. Am nächsten Morgen erzählt Tomas Martin stolz, dass er mit einer Frau geschlafen hat. Als sich aus dem One-Night-Stand mehr entwickelt, beginnt sich die Männerbeziehung zu verändern. Es entspinnt sich eine Beziehungsgeschichte, die von Leidenschaft, Eifersucht und Narzissmus geprägt ist und in der es wenig Gespür für die Bedürfnisse der anderen gibt. Ira Sachs, bereits zum sechsten Mal zu Gast im Panorama, beweist in seinem neuesten Film einmal mehr sein Talent für genau beobachtete Beziehungsdramen. Der Wind des französischen Kinos und ein Hauch von Fassbinder umwehen die drei, deren persönliche Verletzungen die Machtverhältnisse untereinander immer wieder neu bestimmen. (Berlinale 2023)
Wolf & Dog
Ort des Films sind die Azoren – mit ihrer fantastischen Landschaft und Natur Sehnsuchtsziel unzähliger Touristen, doch beengendes Eiland für die, die dort leben. Der Alltag der Protagonistin Ana und anderer junger Bewohner:innen, darunter eine trotzig offene, queere Community, spielt sich ab über einem stetigen Grundrauschen von tiefstem Katholizismus. Ungeachtet ihrer Versuche, sich in die Inseltraditionen einzupassen, dominiert daher eine Frage ihr Leben: Ob und wie sie die Insel verlassen können oder müssen? Vor blendend schöner Naturkulisse erzählt Varejão eine universelle Geschichte von Coming-of-Age und Coming-out – kurz: von Befreiung. (Viennale, Barbara Kronsfoth)
Burning Days
Der junge, engagierte Emre wird in einer von Wasserproblemen und politischen Skandalen heimgesuchten Kleinstadt zum Staatsanwalt ernannt. Er wird zunächst freundlich aufgenommen, erfährt dann aber die Spannungen immer stärker an der eigenen Haut. Gegen seinen Willen wird er in die Kommunalpolitik hineingezogen. Als sich Emre mit dem Inhaber der Lokalzeitung verbündet, brodelt die Gerüchteküche immer heftiger, und der Druck wird immer größer.
Triangle of Sadness
Carl und Yaya werden auf eine Luxusyacht eingeladen und geraten in die zweifelhafte Gesellschaft superreicher Passagiere. Zunächst wirkt alles wie gemacht für Instagram-Mitteilungen. Aber dann zieht ein Sturm auf, und beim Abendessen haben die Passagiere mit heftiger Seekrankheit zu kämpfen. Die Kreuzfahrt endet in einer Katastrophe. Mehrere Milliardäre und ein Mitglied der Crew stranden auf einer einsamen Insel. Auf einmal kehrt sich die Hierarchie um: Die Reinigungskraft weiß nämlich als Einzige, wie man angelt.
Fogo-Fátuo
Man schreibt das Jahr 2069. Auf dem Sterbebett erinnert sich der ehrwürdige Regent Alfredo, König ohne Krone, an seine ausschweifende Jugend als Feuerwehr-Azubi. Die Begegnung mit seinem Ausbilder Afonso entzündete damals eine leidenschaftliche Liebe – und den gemeinsamen Willen, den gesellschaftlichen Status quo zu verändern. Der neue Filme des portugiesischen Kultregisseurs João Pedro Rodrigues (O FANTASMA, O ORNITÓLOGO) ist eine wunderbar wilde und perfekt choreografierte Mischung aus Musical, Folklore und queerer Erweckungsgeschichte im Zeichen des Umweltschutzes – also ganz großes Kino!
Close
Was, wenn junge Menschen herausfinden, dass sie anders sind und anders lieben? Der belgische Filmemacher Lukas Dhont geht in CLOSE dieser Frage nach: Seine sensibel beobachtete und eindringlich inszenierte Adoleszenz-Geschichte stellt dabei zwei 13-jährige Jungs ins Zentrum, die eigentlich beste Freunde sind. In der Schule und in ihren Cliquen werden die beiden aber zunehmend mit ihren Unsicherheiten beim Entdecken der eigenen Sexualität konfrontiert – mit tragischen Konsequenzen.
Alcarràs
Seit Menschengedenken erntet die Familie Solé jeden Sommer die Früchte ihrer Pfirsichplantage in Alcarràs, einem kleinen Dorf in der spanischen Region Katalonien. Doch diese Ernte könnte die letzte sein, denn ihrer Plantage droht das Ende: Die Pfirsichbäume sollen gefällt und stattdessen Solarpaneele aufgebaut werden. Die neuen Pläne spalten die große, eng miteinander verbundene Familie. Zum ersten Mal erscheint den Familienangehörigen die Zukunft unsicher. Sie drohen, viel mehr zu verlieren als nur ihre Obstplantage.
Im Bazar der Geschlechter – Director’s Cut
Im Iran, wo Körperpolitik und Sexualmoral staatlich reguliert werden, nutzt man sogenannte Zeitehen als Schlupflöcher, die Autonomien verleihen, aber auch Abhängigkeiten schaffen. Mehr als ein Jahrzehnt nach der Erstveröffentlichung ihres Films wagt sich Sudabeh Mortezai an eine aktualisierte Schnittfassung, die angesichts der aktuellen Revolution neue Bedeutung erfährt und Kontinuitäten – sowohl der Repression als auch des Widerstands – aufzeigt.
Im Büro des Mullahs wartet ein Paar vorfreudig auf seine Dokumente. Es wird aus dem Koran zitiert, das Brautgeld bezahlt, Gratulationen und Süßspeisen verteilt: Die Ehe ist geschlossen. Egal ob für dreißig Minuten oder 99 Jahre, eine sogenannte Zeitehe bietet innerhalb der religiös-patriarchalen und repressiven Körperpolitik des Iran ein Schlupfloch für Liebesbeziehungen, außerehelichen Sex oder Prostitution. Wir sind im Jahr 2008, und im Bazar der Geschlechter werden Autonomien und Abhängigkeiten verhandelt. Entlang der Grenzen des Sag- und Zeigbaren sprechen Männer und Frauen über ihre Beziehungen, Sexualmoral, Handlungsmacht, Missbrauch und Gewalt. Als Im Bazar der Geschlechter 2009 erstmals veröffentlicht wurde, setzte das iranische Regime die Filmemacherin auf die schwarze Liste. Hierzulande wurde der Film als Erfolg gefeiert, Sudabeh Mortezai selbst war mit dem Ergebnis ihrer Arbeit aber nicht zufrieden: „Er war überladen mit Informationen, um eine fremde Materie für den westlichen Blick greifbar zu machen.“ Ein Jahrzehnt später wagt sie sich gemeinsam mit Editorin Julia Drack an eine neue Schnittfassung, die das Fragmentarische zulässt, die Protagonist*innen und ihre Geschichten in den Mittelpunkt stellt und dem – sich im Angesicht der stattfindenden Revolution aktualisierenden – Widerständigen das letzte Wort erteilt. (Diagonale – Katalogtext)
Der heutige Iran ist auf vielen Ebenen einen Quantensprung entfernt von der Welt dieses Films. Und doch, beklemmenderweise, scheint so vieles an diesem historischen Bild noch genauso aktuell und brisant. Denn noch immer besteht ein tiefer Riss zwischen großen Teilen der Bevölkerung mit ihrem Wunsch nach Freiheit und Demokratie und einer totalitären Theokratie, die sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten versucht. Noch immer müssen sich die Menschen im Iran mit Einfallsreichtum Freiräume innerhalb eines repressiven Systems schaffen, das ihre Freiheiten bis hinein in die Intimsphäre einschränkt. 2009, als die Originalschnittfassung des Films herauskam, erschütterte eine massive Protestwelle infolge der Wahlen den Iran. Der Director’s Cut erscheint jetzt wieder zu einer Zeit großer gesellschaftlicher Umwälzung. Zurzeit findet im Iran eine veritable Revolution statt, die vorwiegend von jungen, unerschrockenen Frauen ausgeht, die sich die jahrzehntelange Repression nicht mehr bieten lassen und dafür ihr Leben riskieren. Ein passender Zeitpunkt, um wieder einen Blick in den Bazar der Geschlechter zu werfen. (Sudabeh Mortezai)
Fallen Angels
Bereits seit 155 Tagen arbeitet der Berufskiller Wong Chi-Ming für seine Agentin. Die Geschäfte könnten nicht besser laufen, doch Wong beginnt, sich Fragen über den beruflichen Kodex zu stellen. Die Agentin kümmert sich um seine Termine, beseitigt die Spuren nach seinen Einsätzen und scheint sich ein bisschen zu viele Sorgen um seinen Lebenswandel zu machen. Der Killer aber muss weiter. Statt einer Kündigung oder eines Liebesbriefes hinterlässt er eine Münze mit einer Nachricht. Dann begibt er sich mit Blondie, die er irgendwo aufgegabelt hat, auf die Achterbahn der Exzesse.
Ursprünglich war FALLEN ANGELS als dritte Episode zu seinem Vorgängerfilm CHUNGKING EXPRESS (1994) geplant. Da Wong Kar-Wai jedoch schon mit den beiden Episoden aus Chungking Express einen Spielfilm füllen konnte, entschied er sich aus der dritten einen eigenständigen Film zu machen, einen dunklen Neo Noir-Thriller und ein experimentelles Drama, das vom Alleinsein erzählt.