Alexander KlugeDeutschland 1966 / 88 min
Abschied von gestern beginnt mit einem Zitat von Reinhard Baumgart: „Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage." Damit ist treffend angegeben, worum es in diesem Film geht: um das Verhältnis zum „gestern", das jedoch nicht apokalyptisch oder metaphysisch gesehen wird, sondern in Form einer nüchternen, manchmal ironischen Situations-Analyse erscheint. Der Film erzählt die Geschichte der Anita G., eines Mädchens jüdischer Abstammung, das aus der DDR (Magdeburg — ein autobiographischer Bezug für Kluge) in die Bundesrepublik kommt und hier eine wahre Odyssee durchmacht, eine Odyssee freilich, die aus lauter (für sich betrachtet) alltäglichen Episoden besteht.Anita G(rün) trägt ihre Vergangenheit wie einen unverarbeiteten Ballast mit sich herum. Die Erlebnisse in der Nazizeit, im Film nur angedeutet, lassen sie nicht los, sie fühlt sich verfolgt und allein gelassen, sie sucht die menschliche Nähe und klammert sich deshalb an jeden, der sich mit ihr einläßt. Die Bedürfnisse werden aber jedesmal nicht befriedigt. Die Hilfen, die ihr zuteil werden, sie in die Gesellschaft der Bundesrepublik zu integrieren, greifen allesamt zu kurz: die Bewährungsfrist, die christlich-karitativen Sprüche der Bewährungshelferin, der Chef der Sprachkursfirma, der nur sein Vergnügen sucht, die Universitätsdozenten, die in ihren starren Ritualen und theoretischen Gedankengebäuden leben (der Film wurde vor der Studentenbewegung gedreht), Dr. Bauer, der Jurist, der zwar guten Willens wäre, an den sie durch dessen Überlastung jedoch nicht herankommt, Pichota, der sie in bürgerliche Kultur einführen möchte, sie dann aber, als es Probleme durch Anitas Schwangerschaft gibt, fallenlässt.