Jean-Luc GodardFrankreich, Schweiz 2004 / 80 min
In Anlehnung an die christliche Jenseitsvorstellung durchläuft Notre Musique drei «Königreiche».Als Auftakt: eine achtminütige Bilderkaskade aus Dokumentar- und Spielfilmen, die in pulsierender Montage Kriegsszenen präsentiert. Ohne chronologische Ordnung, mit kurzen Off-Kommentaren und Pianosequenzen: Aufnahmen von der jahrhundertealten Selbstvernichtung der Menschheit – die «Hölle».
Es folgt der einstündige Mittelteil, «Fegefeuer», in dem fiktionale Handlung und dokumentarischer Blick sich durchdringen. Im Zentrum steht Sarajewo, das – noch halb in Trümmern – den Neuanfang, die Versöhnung repräsentiert.
Die Teilnehmer eines internationalen Schriftsteller-Kongresses suchen an diesem symbolischen Ort den Dialog – obwohl letztlich der polyglotte Monolog vorzuherrschen scheint. Rolle und Identität des Intellektuellen in Zeiten von Krieg, Versöhnung und Frieden stehen zur Diskussion. Emblematische Autoren wie Juan Goytisolo, der 1993 in Sarajewo Kriegsbeobachter war, deklamieren in Häuserruinen, der Palästinenser Mahmud Darwisch räsoniert über Sieg und Niederlage. Gleichzeitig fordern (Bilderbuch-)Indianer ein friedliches Zusammenleben, und in einem Zimmer sitzt ein Zensor neben einem Scheiterhaufen aus Büchern, der stetig wächst. Zwei junge Frauen – beide jüdischen Ursprungs – sind auf der Suche (wie so oft bei Godard): Sie hinterfragen das Leben, den Krieg und symbolisieren Aufbruch und Idealismus (Sarah) – und Resignation (Olga).
Als Epilog: das «Paradies». Godard als Gärtner im Blumenmeer. Wir erfahren vom Tod Olgas, die für den Frieden ihr Leben opferte und nun entlang einem von US-Marines bewachten Gestade die Pforte ins utopische Jenseits (mit Reminiszenzen an die Flower-Power-Bewegung) sucht und findet. Ist das die Erlösung? Godards Schaffen hat sich nicht nur die polemische formale Unkonventionalität bewahrt, sondern auch die provozierende Ambivalenz seiner Thesen. (Doris Senn)