Explanation for Everything


Bissiges und vielschichtiges Abbild eines gesellschaftlich gespaltenen Ungarns.
Eigentlich müsste Abel für die Abschlussprüfungen lernen. Stattdessen gilt seine volle Aufmerksamkeit seiner großen Liebe Janka. Doch die hat nur Augen für den Geschichtslehrer, bei dem Abel seine Prüfung ablegen muss. Diese endet in einem völligen Desaster und wird sogar zu einem nationalen Skandal. Hat Abels Lehrer ihn wegen seiner Gesinnung durchfallen lassen? (Filmfest München)

Reisz wirft sich hinein in die schmuddelige Politik Ungarns, ohne Stereotype zu bedienen oder politische Ansichten abzukanzeln. Aber doch mit Haltung.“ – Der Standard

„Explanation for Everything“ ist so entlarvend wie die Filme von Ruben Östlund oder Lars Kraume, so ungeniert wie Radu Jude und so voller spritziger Dialoge, als hätte Noah Baumbach ein neues Genre gefunden, nämlich das der politischen Rollenklischees und Stereotypen.“ – uncut

„ein kleiner Film, der große und drängende Themen entwickelt. Es ist ein fein gezeichnetes, aber messerscharfes Mentalitätsporträt über das gegenwärtige Ungarn unter Regierungschef Viktor Orbán.“ Kleine Zeitung

„EXPLANATION FOR EVERYTHING zeigt im Kleinen die Kräfte auf, die derzeit überall Länder auseinanderreißen und Gesellschaften polarisieren.“ Hollywood Reporter

Co-funded by the Creative Europe MEDIA Programme of the European Union

Sonderveranstaltungen

27. September, 20:00 Kinostartpremiere im Stadkino im Künstlerhaus in Anwesenheit des Filmteams
27. September, 20:00 Kinostartpremiere im Moviemento Linz + Live-Übertragung des Filmgesprächs
27. September, 20:00 Kinostartpremiere im Leokino Innsbruck + Live-Übertragung des Filmgesprächs
3. Oktober, 19:30 Film & Gespräch: Polarisierung der Gesellschaft überwinden? im Stadtkino im Künstlerhaus
9. Oktober, 19:30 – Special in Kooperation mit dem „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ (Film: Original mit englischen Untertiteln, Gespräch auf englisch) im Stadtkino im Künstlerhaus
16. Oktober, 19:30 Special Screening im Stadtkino im Künstlerhaus „Alles für die Schlagzeile“


Dreissig


Ein Freitag im Oktober. 24 Stunden im Leben einer Clique von Freund*innen. Die sechs sind Anfang dreißig, ledig und wohnen in Berlin-Neukölln. Schriftsteller Övünç befindet sich in einer Schreibkrise. Pascal, beruflich erfolgreich, plagt die Sehnsucht, sein jetziges Leben für ein anderes wegzuwerfen. Er und die Schauspielerin Raha haben sich vor kurzem getrennt. Raha arbeitet an ihrer Karriere, die aber Tag für Tag auf sich warten lässt. Kara übernachtet lieber bei Freund*innen als zu Hause. Henner verbringt den Tag in einer Bar und trifft dort Anja, die sich später gern den anderen anschließt. Alle nehmen ihre derzeitige Existenz als etwas Transitorisches wahr. Zwischen mitgeschleppter Backstory und der – immer wieder verstellten – Aussicht auf ein kommendes Leben tut sich eine Leerstelle auf, macht sich aber auch die Intensität des Hier und Jetzt bemerkbar: in einer extrem verdichteten Flüchtigkeit von Augenblicken. Abends feiern die Freunde Övünçs Geburtstag. Fliegender Wechsel vom Tag- in den Nachtmodus. Durchwandern der Straßen und Bars von Neukölln. Lebenswut. Auf dass sich jetzt endlich einstellt, was sich tagsüber so rargemacht hat.

Berlinale

Die Kinder der Toten


Elfriede Jelineks monumentaler, nach ihrer eigenen Aussage wichtigster Roman, Die Kinder der Toten als Vorlage für eine freie filmische Adaption an den Originalschauplätzen rund um die Kindheitsorte der Nobelpreisträgerin. Ein SUPER 8-Ferienfilm aus der Obersteiermark verwandelt sich schleichend in eine Auferstehung untoter Gespenster. Die Frage nach der (Un-)Möglichkeit einer adäquaten Aufarbeitung aufgehäufter Schuld durchzieht all jene Terrains – Natur, Kultur, Gesellschaft, Geschichte –, die in der Gegenwart immer noch nationale Identität stiften. Unser Geschmack heißt Österreich!

StadtkinoFilmverleih

Le beau danger


Norman Manea, 1936 in der Bukowina geboren, wurde 1941 mit seiner Familie in ein Konzentrationslager deportiert. Er überlebte die Gefangenschaft, wurde Schriftsteller und emigrierte 1986 aus Rumänien in den Westen. Heute lehrt und schreibt er in New York. Über diese biografischen Eckdaten des Autors informiert der Film erst spät. Er lässt der Literatur den Vortritt. Sie wird ins Bild gesetzt: Texttafeln mit ausführlichen Auszügen aus Werken Norman Maneas, die starke autobiografische Bezüge haben, prägen den Rhythmus. Beobachtungen des Schriftstellers als öffentliche Person im Rahmen von Auftritten bei Buchmessen und in Seminaren kommen hinzu. Und heutige Aufnahmen an Stationen seines Lebens, wie einem jüdischen Friedhof in der Ukraine. Es entsteht eine vielschichtige Textur aus Schrift und Rede, 16-mm-Film und digitalem Material, Schwarz-Weiß und Farbe, Ton-Collagen und Rauschen – ein Film aus Fragmenten mit vagen Zusammenhängen, kein kohärent erzähltes Künstlerporträt. Im Fokus steht stattdessen die Frage, wie sich Erinnerungen und Erfahrungen von Exil und Entfremdung vermitteln lassen, in der Literatur und im Film. LE BEAU DANGER hat eine freie, essayistische Form dafür gefunden.

Die Österreich-Premiere und einmalige Vorführung am 30.9. um 19 Uhr im Filmhaus Kino am Spittelberg findet mit freundlicher Unterstützung des Rumänischen Kulturinstituts Wien statt. Der Schriftsteller Norman Manea wird anwesend sein und mit dem Regisseur René Frölke nach dem Film ein Gespräch führen.

WINWIN


Drei Investoren im falschen Gewand, suchen beharrlich nach Herz und Verstand. Mit ihrem Jet fliegen sie um die Welt, sie predigen Liebe und ernten Geld. Schall und Rauch ist ihr Privileg, Minister, Gewerkschaft und Könige pflastern ihren Weg. Mit offenen Karten spielen sie ihr Spiel, wo es kein Risiko gibt, gibt’s nur ein Ziel: die Wahrheit ist Lüge, die Lüge Realität – wer Sturm entfachen will, der Wind säht.

Hoesl is a self-willed, puckish prankster and a dandyish dilettante, deploying his opulently elegant box of cinematic tricks with casual, cynical aplomb: sincerity is, after all, just so last century! Not to all tastes, needless to say, but European cinema would be a much duller place without him. Neil Young, Hollywood Reporter

WINWIN punktet mit konzentriertem Stilwillen, pointierten Einstellungen und bissigem Humor. Die Presse

WINWIN ist eine Farce, aber nicht zum Zurücklehnen, sondern zum Mitdenken, ein eigenwilliger, im Rätselhaften bleibender Kommentar auf die Verhältnisse. (…) Die Finanzkrise als unterkühlte Satire. ORF.at

Ein bizarrer Reigen, der, einmal angefangen, nicht mehr zu stoppen ist. Der Standard

Der Film zeigt die Herrschaft des Geldes in seiner ganzen Pracht. Trend

Daniel Hoesls Antikapitalismusparodie. Falter

Süt


Yusuf, Anfang 20, lebt bei seiner Mutter Zehra am Rande einer anatolischen Kleinstadt. Gemeinsam verkaufen sie selbst hergestellte Milchprodukte ihrer beiden Kühe auf dem lokalen Markt, eine harte Arbeit, die wenig einbringt. Die Geschäfte gehen immer schlechter, denn mit der zunehmenden Industrialisierung und der Entstehung von Neubauvierteln gehen immer mehr Menschen in die neuen Supermärkte. Zehra verlangt von Yusuf, durch geregelte Arbeit zum gemeinsamen Lebensunterhalt beizutragen. Aber Yusuf kann diesen traditionellen Erwartungen als männliches Familienoberhaupt nicht gerecht werden, da er sich lieber in Tagträumen und Literatur verliert. Als eines seiner Gedichte in einer Literaturzeitschrift veröffentlicht wird, wächst in ihm der Wunsch nach künstlerischer Selbstverwirklichung und Anerkennung. Zehra verliebt sich in den örtlichen Bahnhofsvorsteher und entdeckt ihre Weiblichkeit wieder. Plötzlich ist Yusuf nicht mehr der einzige Mann in ihrem Leben, und weder die Gedichte noch die Milch, deren Verkauf von Tag zu Tag weniger einbringt, können ihm jetzt weiterhelfen, sein Leben zu meistern. Soll er sich nun an den Mustern der traditionellen patriarchalen Kultur orientieren, oder den modernen Strömungen folgend, eine eigene Haltung entwickeln? Er steht vor Entscheidungen, die sein Leben verändern, ein neues Leben einleiten werden. Einen Ausweg scheint der Einberufungsbescheid des Militärs anzubieten. Für die Musterung muss Yusuf in die Großstadt fahren. Dort lernt er Semra kennen, die sich auch für Lyrik interessiert. Aber bevor es zur Romanze kommt, wird Yusuf als untauglich ausgemustert. Er kehrt desillusioniert in sein Dorf zurück – und muss seinen Weg finden.

mítosfilm

STAU – Jetzt geht’s los


„Wir sind nicht die Letzten von gestern, wir sind die Ersten von morgen.“ Halle/Neustadt, ehemalige DDR, 1992: Thomas Heise dreht einen Film über sechs rechtsradikale Jugendliche. Glatzen, Skinheads, Neonazis — Phänomene einer rechten Jugendkultur, die in Zusammenhang mit den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen in den Medien ein dämonisches Bild abgaben: Jenes des prügelnden und brandstiftenden Skins, das es leicht macht, sich zu distanzieren — so also können wir uns den Faschisten vorstellen. In STAU — Jetzt geht’s los soll nichts, außer vielleicht dieses Bild, in den Griff bekommen werden. Heise will niemanden missionieren oder als Faschisten kenntlich machen. Er will zuerst mal wissen, was denn das für Leute sind. Und so sieht er seinen Protagonisten zu, und — was wichtiger ist — er hört ihnen zu. Das taten bisher nur wenige. Geduldig, jedoch ohne sich anzubiedern, begegnet Heise den sechs Jugendlichen, erfährt, was sie so arbeiten, ob sie Freundinnen haben oder wie sie den Tag verbringen. Der Film zeigt sie beim Kuchenbacken und beim Stiefelputzen, im Zug und auf der Straße, mit den Eltern am Wohnzimmertisch und in der Disco. Und es wird schnell klar, dass das keine rechtsradikalen Rädelsführer sind, sondern unsichere, pickelige Jungs, die kurz nach der Wende noch „stapelweise Milka-Schokolade“ aus dem Westen nach Hause gebracht haben. Die Eltern sind oft nicht einverstanden mit der neuen politischen Orientierung der Söhne und sitzen doch hilflos daneben, wenn diese ihre rechten Phrasen dreschen. STAU ist natürlich auch ein Film über die Elterngeneration, somit einer über das Leben in der DDR und über soziale Netze, die nicht mehr greifen und vielleicht auch nie wirklich gegriffen haben. Kein Kommentar, keine Autorenstimme hilft uns, das Sichtbare einzuordnen: Wir werden mit den Jugendlichen allein gelassen, müssen ihnen zuschauen und uns letztlich selbst eine Meinung bilden. Dass der Film nicht wider besseres Wissen für die ,,richtige Haltung“ Stellung bezieht, verursachte einige Aufregung: Es gab wütende Proteste von Antifa-Gruppen, die Uraufführung am Berliner Ensemble wurde verhindert. Im Gutachten des Bewertungsausschusses zur Erteilung eines Prädikats hieß es unter anderem, der Film sei „unbeholfen, unkritisch und eine vertane Chance.“ Der Filmemacher Horst Herz schrieb in einem Offenen Brief an die Jury der Duisburger Filmwoche, die Heise den Dokumentarfilmpreis 1992 zuerkannt hatte: ,,STAU—Jetzt geht’s los ist eine einzige Verharmlosung rechtsradikaler Skinheads. Er ist Lüge, weil er die Gewaltbereitschaft und die bereits begangene Gewaltanwendung gegen Ausländer oder z.B. gegen die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Buchenwald verschweigt oder an den Rand stellt. Zum Thema Rechtsradikalismus werden im Film keine weiteren Fragen gestellt, wird nichts problematisiert, nicht widersprochen, keine Stellung bezogen. […] Der Film begünstigt somit potentielle Mörder!“ In seiner Antwort auf die Vorwürfe von Herz fand der Filmpublizist und Jury-Vorsitzende Stefan Reinecke die wohl treffendsten Worte: ,,Indem STAU die trostlose Gewöhnlichkeit, den Alltag der sechs Kids zeigt, zerstäubt er auch die Aura von verbotenem Reiz der rechten Rebellen. Nur ein reflexhafter, eher an der Stabilität eigener Feindbilder interessierter Blick wird diese Entdämonisierung und Entmythisierung mit Verharmlosung verwechseln. Das Schlimme an den Skins ist auch, daß sie so normal sind. Heise unterläuft die üblichen Medienklischees, die auch Ergebnisse gesellschaftlicher Projektionen sind, mit einer ethnographisch anmutenden Neugier. Diesen Versuch mit trutzburghaftem Antifaschismus zu kontern, wie Horst Herz es in seinem Brief getan hat, scheint mir ungenau zu sein — getragen von dem Wunsch, daß wenigstens im Kino die Moral über die miserable Wirklichkeit siegt. Das ist gerade in miserablen Zeiten keine brauchbare Haltung. Es ist Kinderglaube zu meinen, dass man, wenn man sich nur plakativ genug abgrenzt, ein Phänomen wie jugendlichen Rechtsradikalismus abschaffen könne: dass der Gegner beeindruckt ist, wenn wir ihn nicht verstehen. Ich glaube, dass man die Selbstwahrnehmung des Gegners kennen muss, wenn man ihn bekämpfen will. Dazu hat Thomas Heise Material geliefert.“

Imbiss – Spezial


„Man muß generell darauf hinarbeiten, daß man sich im Grunde nicht für die Gegenwart interessiert, sondern für die Betrachtung der Vergangenheit aus der Zukunft heraus.“ (Thomas Heise im Gespräch mit Erika Richter) Das Ende der DDR in der Nacht zum 7. Oktober 1989: In einer Imbissbude des Bahnhofs Lichtenberg dreht Heise die Bestandsaufnahme eines Staates während seines Zerfalls. Nüchtern blickt die Kamera auf die Angestellten und deren monotone Handgriffe. Gäste kommen, werden abgefertigt und gehen wieder. Würstchen werden in riesige Töpfe gekippt, Erbseneintopf-Bestellungen werden telefonisch aufgegeben, zwischendurch mal eine Zigarette geraucht. Angespannte Betriebsamkeit unterbricht die Phasen des Wartens. Vor der Imbisbude kommt es immer wieder zu kleineren Szenen, ein paar Jugendliche sagen im Vorbeigehen: „Ab morgen regiert das Militär.“ Die Tonspur ist eine Montage aus O-Tönen, Interviewfetzen aus dem Off und vor allem Nachrichtensendungen des DDR-Staatsfunks. Losgelöst vom Individuum entfaltet sich ein polyphones Konzert, ein akkurates Bild zwischen Untergangs- und Aufbruchsstimmung. Das eigentliche Ereignis („die Wende“) kann bei Heise nicht sichtbar werden: „Der beste Punkt aufzuhören, ist da, wo es losgeht. […] Wenn man in einer solchen Situation einen Film macht, muss man ihn so machen, dass er die Situation in zehn Jahren immer noch beschreibt.“ (im Gespräch mit Erika Richter) Zum Schluss hört man Schuberts ,,In der Ferne“ zu TV-Bildern von FDJ-Fackelzügen, in denen skandiert wird: „DDR — unser Vaterland“. Dann der Titel „ENDE“ — und ein Übergang in etwas anderes: „Aus Ideen werden Märkte. Deutsche Bank“. Das ist nicht polemisch. Es beschreibt nur die Ablöse eines Systems durch ein anderes. Heute, da aus der Gegenwart des Mauerfalls Vergangenheit geworden ist, ahnen wir, was das bedeutet.

Die 120 Tage von Bottrop – Der letzte neue deutsche Film


Die letzten Überlebenden der alten Fassbinder-Zunft tun sich zusammen, um auf dem Potsdamerplatz den wirklich allerletzten Neuen Deutschen Film, ein Remake von Pasolinis „120 Tage von Bottrop“ zu drehen. Schlingensief soll Regie führen, wird aber von einem gewissen „Sönke Buckmann“ ersetzt, dem prompt Katja Riemann den Bundesfilmpreis überreicht. Eine Hommage an Rainer Werner Fassbinder, an die Exzentrik und den Wahnsinn einer längst vergangenen Zeit.

In den 12O TAGEN VON BOTTROP (1996) wendet sich Schlingensief von der (Anti-)Analyse typisch deutscher Krankheiten ab und setzt sich kritisch, mit unter auch boshaft, mit `seinem´ Medium – dem Film – auseinander.

Vordergründig ist es ein Film über die bloße Hektik, die hässliche Ökonomie des Filmemachens, ein Deutscher Tag als Pendant zu Truffauts Amerikanischer Nacht. Gleichzeitig ist es ein melancholischer Abgesang auf den deutschen Film der späten 60er und 70er Jahre, auf den sich Schlingensief immer berufen hat. Ein Abschied von gestern.

In einer Reihe von Anspielungen, Spitzen und Zitaten ist der Film auch ein Rückblick auf die deutsche Filmgeschichte als solche, der Schlingensief den zeitweiligen Anschein verpasst, dass sie keine Zukunft haben werde.

Die 12O TAGE VON BOTTROP sind erwartungsgemäß verwirrend – auch oder gerade für seine Figuren -, thematisch überladen, exzentrisch bis exzessiv, aber auch lustig. Ein Haufen ehemaliger Fassbinderakteure (Margit Carstensen, Irm Hermann, Kurt Raab, Volker Spengler) plant, den letzten neuen deutschen Film zu drehen – ein Remake des Skandalfilms Salo oder Die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini.

Nicht die Figur des Christoph Schlingensief, gespielt von Martin Wuttke, der zum Aufnahmeleiter degradiert wird, sondern der mit Bundesfilmpreisen überhäufte Sönke Buckmann (Mario Garzaner) übernimmt die Regie. Seine optische Ähnlichkeit mit Fassbinder hangelt wie ein Omen über dem Projekt. Der Produzent (V. Spengler), ständig in Kontakt mit seinem Agenten (C. Schlingensief) in Hollywood, ist bemüht, den Visconti-Akteur Helmut Berger für den Film zu engagieren. Der Versuch, an Zeiten des Aufbruchs anzuknüpfen, gerät mehr und mehr außer Kontrolle. Die gebeutelten Figuren pendeln zwischen Tragik und Komik:
Der AIDS-kranke Kurt Raab kommentiert Margit Carstensens Bemerkung zum Erhalt des Iffland-Ringes, dieser werde jedes Jahr an den besten Schauspieler weitergereicht, mit den Worten: „Das erinnert mich an meine Krankheit.“; Produzent Volker Spengler bespringt Komparsen, während Bundesinnenminister Kanther in einer Einspielung von der Bundesfilmpreisverleihung den Katja Riemann und Till Schweiger – Heroen deutscher Filmkunst – huldigt; Irm Hermann liefert sich, in Erinnerung an gute, alte Fassbinder-Zeiten, eine Schlammschlacht mit Margit Carstensen… Letztere stürzt sich frustriert aus dem Fenster, als sie plötzlich realisiert, dass Fassbinder tot ist; Christoph Schlingensief (M. Wuttke im Gewand des Dornen gekrönten Jesus Christus) verzweifelt an seinen organisatorischen Unfähigkeiten; die größenwahnsinnige Leni Riefenstahl taucht auf dem Kamerabock auf; Irm Hermann mutiert angesichts dieses Umstandes zu Lieselotte Pulver… Und alle fragen sich fortwährend, ob und wann denn nun Helmut Berger am Set eintreffe. Gleichzeitig hetzt Agent Schlingensief mit Anzug und Handy durch das heiße Hollywood, trifft auf japanische Touristen, Udo Kier und den Regisseur Roland Emmerich. Das Filmprojekt muss schließlich scheitern, stellvertretend für den von Schlingensief todgeweihten Neuen Deutschen Film.

Hinter all diesen derben, manchmal auch komischen Gags versteckt sich eine verborgene Sehnsucht nach jener Zeit des deutschen Films. Ihr entgegen steht die momentane deutsche Film(chen)branche, die vor Wortmanns und Bucks, vor Ben Beckers und Kai Wiesingers – allesamt zu `Kunstschaffenden´ stilisiert – nur so strotzt, und für die BOTTROP nur ein müdes, ein sehr müdes Lächeln erübrigen kann. Schlingensief gesteht seinem Abbild aktueller Erfolgsregisseure, Sönke Buckmann, zu, das höchst eigene Kettensägenmassaker gedreht zu haben.

Die schmutzig und kratzig wirkenden Bilder machen allerdings eines deutlich: Die dargestellte Zeit ist antiquiert, und BOTTROP bildet ihren fulminanten Schlussstrich; ein sarkastischer Trip durch eine in ihrer Profillosigkeit und Narzissmus erstarrten deutschen Filmlandschaft, eine Assoziationskette wahnwitziger Szenen zu schmissigem Helge-Schneider-Jazz.

Mit Pasolini hat BOTTROP kaum etwas zu tun, allein die in Hundehaltung gezwungenen und an der Leine geführten Menschen aus dem Film des italienischen Neorealisten sind verarbeitet – unkommentiert und als Detail unter vielen. Der Film ist auch nicht in 120, sondern in nur fünf Tagen abgedreht worden. …Und – wen wundert es – Bottrop kommt auch nicht darin vor.

Mutters Maske


Seinen Hang zum Ausverkauf gängiger Fließbandformate beweist Schlingensief mit MUTTERS MASKE (1988), einer freien Adaption des Films Opfergang (1944) von Veit Harlan. Unter Verwendung von Motiven aus Baudelaires Blumen des Bösen zeichnet er das Drama einer im Ruhradel angesiedelten Familie nach.

Das verhasste Erzählkino führt Schlingensief mit MUTTERS MASKE ad absurdum, indem er dessen Regelhaftigkeit selbst anwendet und überbeansprucht. Ein wichtiges Moment, auch für Schlingensiefs spätere Theaterarbeit: Er macht Bekanntschaft mit dem für ihn prägenden Stilmittel der Affirmation. Durch eine freiwillige Lächerlichkeit reduziert er seine Tragikomödie auf das Niveau einer Daily Soap.

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