Zwei Abende mit dem ukrainischen Filmemacher Sergei Loznitsa
Im Januar kommt der international renommierte ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa auf Einladung der Akademie der bildenden Künste nach Wien, wo er einen Workshop für Studierende hält. Aus diesem Anlass zeigt und diskutiert das Medienlabor an der Akademie in Kooperation mit dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) Loznitsas neueste Filme, Sobytie (Das Ereignis, 2015) und Maidan (2014) im Stadtkino im Künstlerhaus. Der Regisseur wird anwesend sein.
Sergei Loznitsa wurde 1964 in Weißrussland geboren, wuchs in Kiew auf und studierte am dortigen Polytechnikum Mathematik; nach seinem Abschluss arbeitete er von 1987-91 am Kiewer Institut für Kybernetik. Er ging dann nach Moskau an die staatliche Filmhochschule. Seit 1996 drehte er sechzehn Dokumentar- und zwei Spielfilme, für die er zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Sčast’e moe (Mein Glück, 2010) und V tumane (Im Nebel, 2012) liefen im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. 2014 präsentierte Loznitsa dort seinen Dokumentarfilm Maidan. Sein neuester Film Sobytie wurde 2015 im Rahmen der Filmfestspiele in Venedig uraufgeführt.
Beide Filme dokumentieren historische Wendepunkte: den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und den Fall des Janukowytsch-Regimes in der Ukraine 2013/14, jeweils einhergehend mit einer intensiven Aufbruchstimmung. Sie tun das, indem sie die Menge zum Helden machen und selbst sprechen lassen, auf ganz unterschiedliche Weise – in Sobytie auf der Basis von dokumentarischen Aufnahmen aus den Tagen des August-Putsches 1991 in St. Petersburg; in Maidan aus der Perspektive einer fast unbewegten Kamera, die die dramatische Entwicklung vom Dezember 2013 bis Februar 2014 aufzeichnet. Loznitsa wundert sich, dass damals so wenige Filmemacher auf dem Maidan waren. „Wann bekommt man das nächste Mal wieder die Gelegenheit, solch eine Revolution live zu beobachten?“ meinte er kürzlich in einem Interview.
Eine Kooperation zwischen dem Medienlabor der Akademie der bildenden Künste Wien, dem Stadtkino im Künstlerhaus und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen und seinem Programm Ukraine in European Dialogue.
Reservierungen unter office@stadtkinowien.at. Ticketpreis: 9€/Vorstellung
Filmprogramm im Stadtkino im Künstlerhaus, Akademiestr. 13, 1010 Wien
Mittwoch, 13. Januar 2016, Filmbeginn 19.30 Uhr
Sobytie (Das Ereignis)
Im August 1991 versuchen kommunistische Hardliner den damaligen Präsidenten der UdSSR aus dem Amt zu putschen und scheitern. Kurz darauf zerfällt die Sowjetunion, gründet sich die russische Föderation. In Leningrad versammeln sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen, Informationen sind rar, die Ratlosigkeit groß; präventiv kann man ja schon mal Barrikaden bauen und streiken. Loznitsa montiert seinerzeit entstandenes Material mit bewährter Zurückhaltung und konzentriert sich auf die Gesichter; man lernt: Im Moment ihres Geschehens ist Geschichte banal und du und ich sind auch durch bloßes Herumstehen daran beteiligt. (viennale.at)
Mit anschließender Podiumsdiskussion (in Englisch). TeilnehmerInnen:
Yustyna Kravchuk, Film- und Medienwissenschaftlerin; Mitglied das VCRC (Visual Culture Research Center) in Kiew, derzeit Paul Celan Fellow am IWM
Sergei Loznitsa, Filmemacher, Amsterdam/Kiew
Oksana Sarkisova, Direktorin des Verzio International Human Rights Documentary Film Festival in Budapest; Research Fellow am Open Society Archive, Central European University Budapest
Moderation: Bettina Henkel, Künstlerin; Leiterin des Medienlabors an der Akademie der bildenden Künste Wien
Donnerstag, 14. Januar 2016, Filmbeginn 19.15 Uhr
Maidan
Einführung (in Englisch): Yustyna Kravchuk, Kiew / Wien
Von Dezember 2013 bis Februar 2014 richtet Loznitsa seine Kamera auf den Kiewer Unabhängigkeitsplatz. In kühnen, die handelsübliche Reportageästhetik kontrastierenden Einstellungen verdüstert sich die Atmosphäre aus fast karnevalesk anmutenden Anfängen zu den gewaltsamen Szenen unmittelbar vor der Absetzung des Präsidenten. Loznitsa verzichtet auf genretypische Verfahren wie Interviews oder hervorgehobene Protagonisten. Stattdessen gelingen ihm an Delacroix gemahnende Revolutionspanoramen aus der Perspektive der demonstrierenden Massen. Bewusst Partei ergreifend gibt der Film auch einen Blick auf die nationalreligiös aufgeladenen Pathosformeln des Umsturzes frei. (viennale.at)