STAU – Jetzt geht’s los


Thomas HeiseDeutschland 1992 / 85 min

„Wir sind nicht die Letzten von gestern, wir sind die Ersten von morgen.“ Halle/Neustadt, ehemalige DDR, 1992: Thomas Heise dreht einen Film über sechs rechtsradikale Jugendliche. Glatzen, Skinheads, Neonazis — Phänomene einer rechten Jugendkultur, die in Zusammenhang mit den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen in den Medien ein dämonisches Bild abgaben: Jenes des prügelnden und brandstiftenden Skins, das es leicht macht, sich zu distanzieren — so also können wir uns den Faschisten vorstellen. In STAU — Jetzt geht’s los soll nichts, außer vielleicht dieses Bild, in den Griff bekommen werden. Heise will niemanden missionieren oder als Faschisten kenntlich machen. Er will zuerst mal wissen, was denn das für Leute sind. Und so sieht er seinen Protagonisten zu, und — was wichtiger ist — er hört ihnen zu. Das taten bisher nur wenige. Geduldig, jedoch ohne sich anzubiedern, begegnet Heise den sechs Jugendlichen, erfährt, was sie so arbeiten, ob sie Freundinnen haben oder wie sie den Tag verbringen. Der Film zeigt sie beim Kuchenbacken und beim Stiefelputzen, im Zug und auf der Straße, mit den Eltern am Wohnzimmertisch und in der Disco. Und es wird schnell klar, dass das keine rechtsradikalen Rädelsführer sind, sondern unsichere, pickelige Jungs, die kurz nach der Wende noch „stapelweise Milka-Schokolade“ aus dem Westen nach Hause gebracht haben. Die Eltern sind oft nicht einverstanden mit der neuen politischen Orientierung der Söhne und sitzen doch hilflos daneben, wenn diese ihre rechten Phrasen dreschen. STAU ist natürlich auch ein Film über die Elterngeneration, somit einer über das Leben in der DDR und über soziale Netze, die nicht mehr greifen und vielleicht auch nie wirklich gegriffen haben. Kein Kommentar, keine Autorenstimme hilft uns, das Sichtbare einzuordnen: Wir werden mit den Jugendlichen allein gelassen, müssen ihnen zuschauen und uns letztlich selbst eine Meinung bilden. Dass der Film nicht wider besseres Wissen für die ,,richtige Haltung“ Stellung bezieht, verursachte einige Aufregung: Es gab wütende Proteste von Antifa-Gruppen, die Uraufführung am Berliner Ensemble wurde verhindert. Im Gutachten des Bewertungsausschusses zur Erteilung eines Prädikats hieß es unter anderem, der Film sei „unbeholfen, unkritisch und eine vertane Chance.“ Der Filmemacher Horst Herz schrieb in einem Offenen Brief an die Jury der Duisburger Filmwoche, die Heise den Dokumentarfilmpreis 1992 zuerkannt hatte: ,,STAU—Jetzt geht’s los ist eine einzige Verharmlosung rechtsradikaler Skinheads. Er ist Lüge, weil er die Gewaltbereitschaft und die bereits begangene Gewaltanwendung gegen Ausländer oder z.B. gegen die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Buchenwald verschweigt oder an den Rand stellt. Zum Thema Rechtsradikalismus werden im Film keine weiteren Fragen gestellt, wird nichts problematisiert, nicht widersprochen, keine Stellung bezogen. […] Der Film begünstigt somit potentielle Mörder!“ In seiner Antwort auf die Vorwürfe von Herz fand der Filmpublizist und Jury-Vorsitzende Stefan Reinecke die wohl treffendsten Worte: ,,Indem STAU die trostlose Gewöhnlichkeit, den Alltag der sechs Kids zeigt, zerstäubt er auch die Aura von verbotenem Reiz der rechten Rebellen. Nur ein reflexhafter, eher an der Stabilität eigener Feindbilder interessierter Blick wird diese Entdämonisierung und Entmythisierung mit Verharmlosung verwechseln. Das Schlimme an den Skins ist auch, daß sie so normal sind. Heise unterläuft die üblichen Medienklischees, die auch Ergebnisse gesellschaftlicher Projektionen sind, mit einer ethnographisch anmutenden Neugier. Diesen Versuch mit trutzburghaftem Antifaschismus zu kontern, wie Horst Herz es in seinem Brief getan hat, scheint mir ungenau zu sein — getragen von dem Wunsch, daß wenigstens im Kino die Moral über die miserable Wirklichkeit siegt. Das ist gerade in miserablen Zeiten keine brauchbare Haltung. Es ist Kinderglaube zu meinen, dass man, wenn man sich nur plakativ genug abgrenzt, ein Phänomen wie jugendlichen Rechtsradikalismus abschaffen könne: dass der Gegner beeindruckt ist, wenn wir ihn nicht verstehen. Ich glaube, dass man die Selbstwahrnehmung des Gegners kennen muss, wenn man ihn bekämpfen will. Dazu hat Thomas Heise Material geliefert.“

Informationen

Originaltitel
STAU – Jetzt geht's los
Deutscher Titel
STAU – Jetzt geht's los
Länge
85 min
Farbe
Farbe
Fassung
OV
Filmformat
16mm
Bildformat
1,33 (4:3)
Kamera
Sebastian Richter
Drehbuch
Thomas Heise
Darsteller
Heidrun Pick, Falco Pick, Konrad Roock, Ronny Gleffe, Heinz Gleffe, Ingrid Gleffe, Roland Maier, Susann Schwabenland
Festivals & Preise
Duisburger Filmwoche 1992: Preis der deutschen Filmkritik, Bester Dokumentarfilm
1. Preis der Niederländischen Fernsehakademie 1993
1. Preis des Dänischen Filminstituts 1993
Schnitt
Karin Geiß
Ton
Uve Haussig
Produktion
ö-Film Frank Löprich & Katrin Schlösser Filmproduktion, Berlin

Informationen

Originaltitel
STAU – Jetzt geht's los
Deutscher Titel
STAU – Jetzt geht's los
Länge
85 min
Farbe
Farbe
Fassung
OV
Filmformat
16mm
Bildformat
1,33 (4:3)
Kamera
Sebastian Richter
Drehbuch
Thomas Heise
Darsteller
Heidrun Pick, Falco Pick, Konrad Roock, Ronny Gleffe, Heinz Gleffe, Ingrid Gleffe, Roland Maier, Susann Schwabenland
Festivals & Preise
Duisburger Filmwoche 1992: Preis der deutschen Filmkritik, Bester Dokumentarfilm
1. Preis der Niederländischen Fernsehakademie 1993
1. Preis des Dänischen Filminstituts 1993
Schnitt
Karin Geiß
Ton
Uve Haussig
Produktion
ö-Film Frank Löprich & Katrin Schlösser Filmproduktion, Berlin
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