LI YuChina 2007 / 112 min
Regisseurin LI Yu erzählt von zwei Paaren - das eine Neuankömmlinge aus der Provinz und das andere bereits Profiteure der jüngsten ökonomischen Entwicklungen. Als der Chef die volltrunkene Ping Guo in seinem Zimmer vorfindet, dieses unbeabsichtigte Zusammentreffen in einer Vergewaltigung endet und Ping Guo kurz darauf schwanger ist, entspinnt sich unter Einbeziehung der jeweiligen Ehepartner eine Serie von geschäftlichen Transaktionen. Verletzte Ehre hat ebenso ihren Preis wie das Neugeborene.
Von der ersten Szene an heftet sich die Kamera an die Fersen der jungen Ping Guo in der Boomtown Beijing. Die Kamera klebt förmlich an der kleinen, schmalen Frau, drängelt sich dicht hinter ihrem Rücken, folgt ihr auf Schritt und Tritt. Keine Zeit für erlesene Bildkompositionen. Ping Guo und An Kun, das Mädchen mit dem Porzellangesicht und der Analphabet mit dem schlichten, leicht reizbaren Gemüt: ein Paar, wie es sie zu Abertausenden in Beijing gibt, erschöpfte, unsichere Existenzen, Migranten in der Megacity, chinesisches Prekariat. Die Kamera versetzt den Zuschauer in die gleiche prekäre Situation, mit Reißschwenks, fahrigen Zooms, gezielten Unschärfen - und taumelnder Optik, wenn die beiden zu viel Bier oder Reisschnaps getrunken haben. Zuletzt sitzen die Frauen am Babybett, jede für sich einsam und unglücklich - ein kurzer, trauriger Moment der Ruhe. Vor den Fenstern erstreckt sich das Chaos der Großstadt, mit kilometerlangen Autostaus, regenbogenfarbenen Neonlichtern, schmutzigen Gassen und den billigen Vergnügungen einer verspäteten, atemlosen Moderne. Nahaufnahme und Totale: Beijing im Zeitraffer.
Christiane Peitz