Kurzfilm: BETWEEN HEATHEN AND EARTH + FAMILY ALBUM
FAMILY ALBUM
Dieser zugängliche, wertvolle und hochaktuelle Dokumentarfilm begleitet die in London lebende Fotografin Samara Pearce auf ihrer Reise in die ukrainische Region Charkiw und rückt die derzeitigen Gräueltaten in den richtigen, erschütternden historischen Kontext. Hier dokumentiert sie die anhaltenden, verheerenden Auswirkungen der russischen Invasion von 2022 auf das Gebiet und seine BewohnerInnen. Pearce wurde beinahe buchstäblich für diesen Job geboren: Sie ist die Urenkelin von Alexander Wienerberger, der für seine Bildaufnahmen des Holodomor berühmt ist – der von der UdSSR ausgelösten Hungersnot in der sowjetischen Ukraine Anfang der 1930er Jahre, der mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen. Das dunkle Echo der Geschichte wird so zu einer Hommage an den Widerstand und an die Widerstandskraft.
BETWEEN HEATHEN AND EARTH (BEJN IS-SEMA U L-ART)
Von Adrian Camilleri
2024 . 30 Min
Malta
In den Annalen der gefühlvollen maltesischen Volksgesangstradition, die als Għana bekannt ist, hatte sich Frans Baldacchino lange vor seinem frühen Tod im Alter von 63 Jahren im Jahr 2006 einen bleibenden Platz geschaffen. Baldacchino, der den Spitznamen „Il Budaj“ trug, war auch Dichter und Künstler – wichtige Facetten seines Lebens, die in dieser liebevollen Würdigung gebührend berücksichtigt werden. In diesem kurzen Dokumentarfilm interviewt der Anthropologe und Künstler Camilleri Baldacchinos Mitarbeiter, seine Familie und seine Freunde, um herauszufinden, warum dieser für die maltesische Kulturlandschaft so wichtige Künstler (der auch als „Volksdichter“ bezeichnet wurde) internationale Anerkennung erlangte – und warum er es verdient, dass man sich an ihn als ein wichtiges Symbol für kulturübergreifende europäische Kreativität erinnert.
Ausgezeichnet mit dem Preis für das Beste Drehbuch, dem Preis für den Besten Schauspieler (Serdar Orçin und Alican Yücesoy), dem Preis für den Besten Schnitt und dem Spezialpreis der Jury beim Istanbul Film Festival, erzählt dieses wunderschön aufgezeichnete, bittersüße Drama die Geschichte von drei sehr unterschiedlichen Geschwistern, die nach dem überraschenden Tod ihres Vaters wieder zusammenfinden. Als Tahsin, Yasin und Remziye sich in ihrer Heimatstadt Tokat im zerklüfteten Norden der Türkei wieder treffen, stellen sie ziemlich bald fest, dass sie sehr unterschiedliche Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit haben, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen, um ihr Leben weiterführen zu können. Voller Schmerz und Gelächter, das alle Familien kennen und erleben, ist dies eine „lokale“ Geschichte mit universellem Reiz.
ANDY WARHOL – THE AMERICAN DREAM
In diesem informativen und unterhaltsamen Dokumentarfilm werden die mitteleuropäischen Wurzeln eines der bekanntesten und einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts erforscht. Andy Warhol wurde in Pittsburgh als „Andrew Warhola Jr.“ geboren und war der Sohn eines Ehepaars aus Mikó in Österreich-Ungarn – dem heutigen Miková in der Nordostslowakei. Regisseur Slivka verknüpft Interviewaufnahmen mit Archivmaterial und nimmt uns mit auf eine Reise von Warhols familiären Wurzeln bis zu seinem Aufstieg in den 1960er-Jahren und seinem späteren Ruhm in New York City. Das Ergebnis ist nicht nur für Warhol-Fans ein Muss, sondern auch für alle, die sich für moderne und zeitgenössische Kunst und das Wesen des Ruhms interessieren.
Magdalena Cielecka wurde für ihre Hauptrolle als Małgorzata in diesem Roadmovie, welcher sich um die komplexe Beziehung zwischen zwei Schwestern dreht, mit dem Polish Academy Award als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Unter der Regie von Oscar-Nominee Fabicki und nach einem Drehbuch von Monika Sobien-Górska folgt der Film Małgorzata und Lucja (Marta Nieradkiewicz) auf ihrer Reise in die Schweiz. Die erfolgreiche Anwältin Małgorzata möchte, dass diese Reise ihre letzte ist: Da sie an Krebs erkrankt ist, hat sie beschlossen, ihr Leben durch Sterbehilfe zu beenden. Lucja glaubt jedoch, dass dort wo Leben ist, auch Hoffnung ist. Ein mitteleuropäischer Cousin von Almodóvars The Room Next Door, mit ähnlich überragenden SchauspielerInnen und einer ähnlich überzeugenden Regiearbeit.
Der dritte Spielfilm von Autorin und Regisseurin Prosenc gewann auf dem slowenischen Filmfestival in Portorož sieben wichtige Preise, darunter für den Besten Film, das Beste Drehbuch, den Besten Schauspieler (Marko Mandić) und sowie die Beste Schauspielerin (Katarina Stegnar), und feierte seine Weltpremiere beim Tribeca Film Festival 2024. Prosenc‘ Porträt der familiären Dysfunktion inmitten eines wohlhabenden Clans wurde mit der Arbeit großer europäischer Autoren wie Östlund, Lanthimos und Haneke verglichen, während sich Aspekte der Handlung an Pasolinis Klassiker Teorema aus den 1960er Jahren anlehnen, jedoch mit einer ganz eigenen, witzigen Absurdität, plus (in den Worten von Alissa Simon von Variety) „glorreiche Kameraarbeit, starke Schauspieler und atemberaubendes Produktionsdesign“.
Inmitten der malerischen Berglandschaft Zyperns gedreht, spielt dieser Film im Jahre 1940 und ist eine fesselnde Geschichte über Liebe, die unter ungewöhnlichen und schwierigen Umständen gedeiht. Die Geschichte beginnt damit, dass ein verzweifeltes Paar auf der Flucht vor den Behörden in einem abgelegenen Mühlenhaus Zuflucht sucht. Der Mann verlässt die Frau und flieht aufs Land, während der Müller und die Frau allmählich ein Band der Zuneigung knüpfen. Doch als der Mann unerwartet zurückkehrt, gibt es Ärger… In eindrucksvollem Schwarz-Weiß von dem erfahrenen Kameramann Vladimir Subotic gedreht, gelingt es diesem Film, uns in eine Vergangenheit zu entführen, in der die menschlichen Gefühle ebenso dramatisch sind wie die Landschaft.
Von den Produzenten von Carbon – dem großen Erfolg des ersten Europäischen Filmfestivals von EUNIC im vergangenen Jahr – kommt die fesselnde Geschichte eines gewöhnlichen Mannes, der mit schwierigen moralischen und ethischen Dilemmata konfrontiert wird. Tudor Turcan spielt Saša, einen Arbeiter eines Gaskonzerns, dessen Frau zwei Monate vorzeitig entbindet. Da Saša dringend Geld braucht, geraten seine persönlichen Prinzipien in Konflikt mit dem zynischen und korrupten System, das ihn umgibt. Drehbuchautor und Regisseur Durbală hat das große Versprechen seines preisgekrönten Debüts What a Wonderful World aus dem Jahr 2014 in vollem Umfang bestätigt und eine einfühlsame und intelligente Studie über ein vielschichtiges Individuum und seine sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Umstände geschaffen.
Die erfahrene Dokumentarfilmerin Beckermann, eine der am meisten gepriesenen lebenden FilmemacherInnen Österreichs, wirft einen feinfühligen Blick auf Kindheit und Erziehung durch die Augen einer einzelnen Schulklasse in Wiens multikulturellem 10. Bezirk. Der Film begleitet 25 SchülerInnen und ihre engagierte Lehrerin über einen Zeitraum von drei Jahren und navigiert (in den Worten von Screen Daily-Kritikerin Nikki Baughan) „effektiv durch die Konzepte von Ethnie, Gemeinschaft und Chancen mittels seiner liebenswerten und oft überraschend aufschlussreichen Themen“. Das Ergebnis ist ein menschliches und klarsichtiges Projekt, das einerseits hochaktuell ist und, dank der herausragenden Kompetenz von Beckermann und ihrem Team, andererseits vollkommen zeitlos ist.
„Unmögliche Liebesbeziehungen, Familiengeheimnisse, dauerhafte Wunden“, so fasst die französische Website Benzine den vierten Spielfilm der Autorin und Regisseurin Quillévéré zusammen, die mittlerweile als eine der angesehensten Stimmen ihrer französischen Generation gilt. Diese sinnliche und (ungewöhnlich) romantische Liebesgeschichte für Erwachsene, die auf den Erlebnissen der Großmutter der Regisseurin Quillévéré basiert, umspannt 20 Jahre, von 1947 bis 1967, und erzählt von der außergewöhnlichen Beziehung (und ihren Folgen), die sich zwischen der mittellosen Kellnerin Madeleine und dem wohlhabenden Studenten François entwickelt. Der Film, der vor allem durch die grandiosen Darbietungen von Anaïs Demoustier und Vincent Lacoste besticht, thematisiert die politischen und sozialen Entwicklungen in Frankreich anhand des Lebens von scheinbar gewöhnlicher Bürgern.
Der Filmkritiker Robert Daniels (RogerEbert.com) bezeichnete Sikharulidzes selbstbewusstes Debüt als eine „erfrischende Kombination aus The 400 Blows und Mean Streets“, die zwar an Truffauts und Scorseses Meilensteine des 20. Jahrhunderts erinnert, aber dennoch eine ganz eigene Geschichte von und für heute ist. Im Mittelpunkt des Films steht der 18-jährige Sandro (gespielt vom preisgekrönten Data Chachua), der mit dem Übergang von der Jugend zum Mannsein zu kämpfen hat. Ohne seine Mutter, die in die USA aufgebrochen ist, und ohne seinen Vater, der in ein Kloster gegangen ist, fehlt Sandro der Halt und er zieht sich in voyeuristische Sexualpraktiken und politischen Extremismus zurück. Als ZuschauerIn kann man einfach nicht die Augen von diesem Film lassen, dessen Blick, in den Worten von Variety’s Jessica Kiang, „durchdringend und scharf und seltsam ist“.